07.12.2017 15:50:00 CET Ein neues additives Fertigungsverfahren etabliert sich neben dem 3D-Druck: Mit Patch Placement eröffnet der Hightech-Maschinenbauer Manz neue Konstruktionsmöglich-keiten und liefert einen wichtigen Baustein für die sich selbst organisierende Produktion der Zukunft.
Einige Wochen wird Marc Schmidt die Orthese nach seinem Sportunfall wohl tragen müssen. Die medizinische Gehhilfe soll schon morgen per Kurierdienst geliefert werden. Dabei hat der Orthopäde Schmidts Bein erst heute abgescannt und die Daten per E-Mail an den Hersteller gesendet: Maße, Gewicht, gewünschte Farbe und die für den Heilungsprozess maximal zulässige Beweglichkeit. Kurz darauf wird die Orthese „Edition Marc Schmidt“ bei einem südwestdeutschen Medizintechnikhersteller aufgelegt. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Lage für Lage. Als Unikat, vollautomatisiert.
Patch Placement heißt das dafür verwendete neuentwickelte Verfahren von Manz: Flexible Materialien von der Rolle werden von einem Laser in die benötigten Konturen geschnitten – die sogenannten Patches. Diese Patches werden anschließend im Schichtbauprinzip additiv miteinander verbunden, zum Beispiel mit einer Laserschweißung. Eingesetzt wird Patch Placement nicht nur in der Medizintechnik, sondern auch in der kundenindividuellen Massenproduktion in der Schuhindustrie oder zur Fertigung maßgeschneiderter Sportgeräte. Anwendungen für die Automobilindustrie und den Flugzeugbau sind gerade in der Entwicklung. Zum Beispiel, um die Materialstruktur rund um Bohrlöcher für Anbauteile oder Nieten lokal zu verstärken.
Deutlich schneller als 3D-Druck
Zur Verarbeitung eignen sich alle „abwickelbaren“ biegeschlaffen Werkstoffe wie Textilfasern, Kunststoff- und metallisierte Folien oder Faserverbund-Werkstoffe wie zum Beispiel Carbon Composites. Diese lassen sich mit Patch Placement zu geometrisch komplexen Strukturen formen – mit höchster Stabilität bei gleichzeitig geringstmöglichem Materialeinsatz und damit Gewicht: Nur an Stellen, die erhöhter mechanischer Belastung ausgesetzt sind, trägt Patch Placement etwas dicker auf und bedient so höchste Leichtbauansprüche.
Es gibt fast keinen Materialverschnitt, verschiedene Materialien und Farben lassen sich „von der Rolle“ oder exakter, mehreren Rollen kombinieren, ohne dass eine Anlage aufwändig umgerüstet werden muss. Während an der Oberfläche eines Produkts beispielsweise die Haptik und die Optik zählen, können im Inneren steifere Materialien in einer ganz bestimmten Struktur verarbeitet werden.
Der Vorteil gegenüber dem 3D-Druck: Mit Patch Placement sind wesentlich höhere Materialdurchsätze und kürzere Produktionszyklen möglich.
Mehr als nur Prototypenbau
„In der Konstruktion ergeben sich mit Patch Placement ganz neue Freiheiten, und zwar über das Rapid Prototyping hinaus“, sagt Dr. Martin Steyer, der bei Manz den Bereich Integrated Solutions leitet. „Vor allem drei Vorteile sehe ich für Konstrukteure: Zum einen ermöglicht Patch Placement mit seinen frei porgrammierbaren Achsen eine enorme Vielfalt an komplexen und hochintegrierten Produktgeometrien. Hinterschnitte, Hohlräume oder Fluid-Ströme in jeder Lage – alles ist möglich. Ohne Umspannen, ohne dass Bauteile zusammengesetzt werden müssen.
Dr. Martin Steyer, Leiter des Bereichs Integrated Solutions bei der Manz AG in Reutlingen:
Patch Placement ermöglicht Kon-strukteuren mit seinen frei pro-grammierbaren Achsen eine enorme Vielfalt an komplexen und hoch-integrierten Produktgeometrien.
Zudem lassen sich Materialien mit ganz unterschiedlichen Eigen-schaften kombinieren. Schließlich werden Entwürfe sofort massen-produktionstauglich sein, wenn Konstrukteure mit denselben Anlagen arbeiten, wie auch die Fertigung selbst.
Der zweite große Vorteil ist: Ich kann Materialien mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften kombinieren. Zum Beispiel können poröse Materialien in ein Bauteil integriert werden, wenn Kühlmittel nah ran an eine ganz bestimmte Stelle geleitet werden soll. Und schließlich werden sich Konstrukteure weniger den Kopf zerbrechen müssen, ob ihre Entwürfe auch massenproduktionstauglich sind, wenn sie mit denselben Anlagen arbeiten, wie auch die Fertigung selbst.
Software-gesteuert umrüsten
Patch-Placement-Anlagen sind autark aufgebaut und lassen sich deshalb unkompliziert in bestehende Fertigungslinien integrieren. Vorausgesetzt, eine Fertigungslinie ist komplett digitalisiert. Denn nur dann werden sich kundenindividuelle Produkte wie Großserienprodukte (engl. mass customization) fertigen und ihre Lieferzyklen deutlich beschleunigen lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird eine weitere Eigenschaft von Patch Placement relevant: Das Verfahren ist nicht an Werkzeugformen gebunden und lässt sich somit allein software-gesteuert umrüsten.
Für Martin Steyer von Manz ist das hochflexible Verfahren damit ein wichtiger Baustein einer sich selbst organisierenden Produktionslinie, auf der sich auch kleinere Stückzahlen prozesssicher und kosteneffizient herstellen lassen und die Modellwechsel in Echtzeit zulässt: „Das Patch Placement-Verfahren bietet sich für all jene Hersteller an, die mit einer nur schwer beherrschbaren Variantenvielfalt ihrer Produkte zu kämpfen haben und deshalb höchste Anforderungen an die Flexibilität in der Fertigung stellen.“
Im Verbund mit webbasierten Entwicklerplattformen oder Produkt-Konfiguratoren, digitalen Materialdatenbanken und einer logikbasierten Mustererzeugung lassen sich externe Entwickler und sogar Kunden, also auch Konsumenten, künftig viel direkter in einem Produktionsprozess einbeziehen. Begriffe wie „vernetzte Produktion“ oder „open source“ erhalten damit eine viel breitere Bedeutung, als bisher. Das frei konfigurierbare Patch Placement als Baustein einer kundenindividuellen Massenproduktion könnte sogar dazu führen, dass sich die Fertigung in vielen Branchen wieder näher beim Kunden ansiedelt. Als lokal vernetzte Produktion sind das gute Chancen für „Made in Germany“.